Dirk Bauermann: „Es ist für mich ein emotionales Anliegen!“

Dirk Bauermann, der ehemalige Headcoach der deutschen A-Nationalmannschaft, ist seit Anfang des Jahres Bundestrainer und Koordinator für den männlichen Nachwuchsbereich. Im Interview spricht der 65-Jährige über seine Aufgabe und seine Motivation, mit Jugendlichen zu arbeiten. 


Herr Bauermann, Sie haben an vielen Wirkungsstätten immer wieder betont, dass es Ihnen darum geht, etwas Langfristiges aufzubauen. Wie wirkt sich das in Ihrem neuen Job beim Deutschen Basketball Bund aus? 


Dirk Bauermann: Als ich Trainer in China oder in Litauen war, war die Aufgabe, sich ausschließlich auf das Profiteam zu konzentrieren. Da war weder die Zeit noch der Wunsch des Präsidiums oder des Sportdirektors, dass ich mich einbringe in Jugendarbeit und konzeptionelle Dinge. Aber da, wo das möglich und gewünscht war, habe ich das immer sehr gerne getan. Beispiel deutsche Nationalmannschaft: Da war meine Aufgabe, die Nationalmannschaft zu betreuen; mir war aber auch sehr wichtig, meine Erfahrungen und meine Ideen weiterzugeben und für den Jugendbereich nutzbar zu machen. Dasselbe galt für Bayer Leverkusen und meine Zeit in Bamberg. 


Auch jetzt zum Schluss war die Aufgabe, nicht nur eine Afrika-Meisterschaft zu gewinnen mit Tunesien, was ja gelungen ist, sondern eben auch, da Trainer auszubilden. Und konzeptionell zu helfen, die Jugendarbeit auf bessere Füße zu stellen. 


Das ist für mich ein emotionales Anliegen, nicht nur sich auf die Arbeit des Profitrainer zu fokussieren, sondern auch Einfluss auf Trainerausbildung oder Trainerfortbildung und auf die konzeptionelle Arbeit mit den Jugendlichen zu haben. 


Insofern war das immer eine Herzensangelegenheit, und da dachte ich, dass es nach 35 Jahren Profisport eine gute Idee wäre, das zu meiner Hauptaufgabe zu machen. In vielen Gesprächen mit Ingo Weiss, mit Armin Andres, mit Wolfgang Brenscheidt haben wir dann gemeinsam entschieden, dass ich diese Aufgabe übernehme und bisher macht sie mir extrem große Freude. 


Sie haben die Aufgabe, den Nachwuchsbereich wirklich zu prägen und damit auch die Identität der Nationalmannschaft der Zukunft. Wie soll die aussehen? 


Mir geht es zunächst darum, sicherzustellen, dass wir so etwas entwickeln wie eine Identität der deutschen Jugendnationalmannschaften. Davon ist der Bereich der A-Nationalmannschaft erst einmal abgekoppelt. 


Da verändern sich die Verantwortlichen irgendwann wieder, Spieler sind jahrelang aus dem DBB- Jugendprogramm, weil sie in der BBL, in der Europaliga oder gar in der NBA spielen und kommen dann zurück und spielen für die Nationalmannschaft. Insofern sind das sicher zwei verschiedene Paar Schuhe. 


Unsere Aufgabe ist es, die Spieler auf einer Karriere im Profisport und hoffentlich auch auf eine Karriere bei der Nationalmannschaft vorzubereiten. 


Und da ist es unabhängig davon, wer Trainer der Nationalmannschaft ist oder welche Spielkonzeption dort verfolgt wird; wichtig ist, dass wir in ganz bestimmten Bereichen gut ausgebildet sind. Und darüber entwickelt sich dann natürlich auch so etwas wie eine kollektive Identität, weil unsere Jugend-Nationalmannschaften natürlich auch die Dinge abbilden sollen, von denen wir glauben, dass sie im Profisport oder bei der Nationalmannschaft zu einem späteren Zeitpunkt nachgefragt werden. 



Sie haben schon gesagt, es mache bisher große Freude. Was waren denn so die Momente, wo Sie gemerkt haben: „Ich bin hier am richtigen Ort“? 


Ich würde sagen, es ist vor allem immer die Arbeit mit den jungen Athleten in der Halle. Die persönlichen Gespräche mit ihnen, die Teammeetings, also alles das, was mit dem direkten Kontakt zu unseren jungen Spielern zu tun hatte. 


Das sind die Augenblicke, für die man als Trainer lebt. Neben dem Erfüllen einer Aufgabe oder einer Mission, zum Beispiel eine Meisterschaft zu gewinnen oder sich für eine Olympiade zu qualifizieren: Es ist immer der Austausch mit den Athleten. Es ist immer die Arbeit in der Halle, in dem Versuch, sie besser zu machen. 


Die Tätigkeit als Coach für junge Spieler, vor allem im U15- und U16-Bereich, ist ja im Vergleich zur Arbeit mit Erwachsenen sicher etwas anderes. Was sind so die großen Unterschiede? 


Wenn die Jungs für die U18-Nationalmannschaft spielen, dann sind sie schon auch deutlich auf der Schwelle zum Profitum. Insofern unterscheidet sich die Arbeit mit Spielern dieser Generation sicher noch mal grundsätzlich von der Arbeit mit der U14, U15 und U16. 


In dem Alter geht es erstens um Entwicklung von Einstellungsrepertoires. Was bedeutet Leistungssport? Was bedeutet Mannschaftssport? Welche Aufgabe habe ich als Athlet im Mannschaftssport? Was muss ich tun, um auf einem hohen Niveau anzukommen? Und was muss ich tun, um die bestmögliche Version von mir selbst zu werden? 


Das zweite ist, ihnen zu vermitteln, wie man dieses Spiel erfolgreich spielt. Unsere Aufgabe ist es, ihnen klarzumachen, wie guter Basketball aussieht und welche Rolle sie in diesem Mosaik, in diesem Puzzle als junge Athleten spielen. 


Ein Beispiel: Guter Basketball sieht nicht so aus, dass einer zehnmal dribbelt und Eins-gegen-eins spielt und die anderen vier stehen rum. Guter Basketball sieht nicht so aus, dass sich alle in der Zone verstecken und darauf warten, dass der Gegner einen Dreier verwirft. 


Sondern: Guter Basketball bedeutet immer auch eine Physis, eine Intensität, eine hohe Energie der Verteidigung, über die man dann ins Laufen kommt und schnell spielen kann. Guter Basketball sieht nicht so aus, dass man zwischen den Linien hin und her joggt, sondern guter Basketball sieht so aus, dass man zwischen den Linien sprintet, sowohl nach vorne als auch nach hinten. Das sind die Dinge, die wir den jungen Spielern vermitteln müssen. Das passiert über Besprechungen, aber vor allem in der Halle. 


Das Dritte ist es, ihnen dabei zu helfen, wie Holger Geschwindner immer sagt, einen vollen Werkzeugkasten zu haben. Das ist sicher vor allem die Aufgabe der Vereine und Vereinstrainer, aber auch unsere Aufgabe. Das ist aus meiner Sicht ein sehr, sehr wichtigerBereich. 


Dann geht es um Fragen wie Entwicklung von Entscheidungsverhalten, also wann passe ich, wann werfe ich, wann ziehe ich, wann bewege ich mich ohne Ball wohin Entscheidungsverhalten ist ein wichtiges Kriterium für individuelle Qualität. Und das gilt es weiterzuentwickeln. Und es geht darum, Ihnen eine Spielidee zu vermitteln, von der ich glaube, dass Sie auch in zehn oder 15 Jahren noch die sein wird, die die größte Chance auf Erfolg verspricht. 


Der letzte Bereich ist die Entwicklung von Selbstvertrauen. Dieses Spiel kann man nur spielen mit einem ganz großen Selbstvertrauen. Und ich glaube, dass Trainer eine wichtige Aufgabe haben auf dem Weg dahin, Spielern das zu geben. 


Selbstvertrauen entwickelt sich darüber, dass man das Vertrauen anderer spürt. Es muss eine entsprechende Fehlerkultur geben. Junge Spieler dürfen nicht beim ersten Fehler ausgewechselt werden, auch nicht beim zweiten. Da gehören viele Dinge dazu, da gehört die Art der Ansprache dazu, da gehört dazu, dass es immer eine konstruktive und nie eine persönliche Kritik geben darf. 


Dazu gehört, dass man, wenn man schwierige Gespräche führen muss, wenn man auch vielleicht mal hart sein muss mit den jungen Athleten, dass man es immer unter vier Augen tut, nie öffentlich, und dass es immer einen positiven Ausblick gibt. Dazu gehören viele Dinge, aber ich glaube, dass es ganz, ganz stark unsere Aufgabe ist, sicherzustellen, dass unsere Spieler mit viel Selbstvertrauen und mit viel Glauben an die eigene individuelle Stärke in Partien gehen. Auch an kollektive Stärke, also Spanien schlagen zu können, Griechenland schlagen zu können. Das halte ich für eine unserer wichtigsten Aufgaben im mentalen Bereich. 


Die Spieler, die heute U15, U16 spielen, haben nie vorm Fernseher gesessen und die Nationalmannschaft mit Dirk Bauermann an der Seitenlinie gesehen, manche kannten Sie vielleicht kaum. Wie läuft also da das Kennenlernen? Spielt das eine Rolle? 


Das spielt keine Rolle, denn wenn eine Generation internetaffin ist, dann diese. Die googeln natürlich sofort und wahrscheinlich waren es ihre Eltern, die mich entweder mochten oder nicht mochten und sich gewünscht hätten, ich hätte mal die ein oder andere Meisterschaft weniger gewonnen, aber die am Ende alle den Weg respektieren und die Lebensleistung. 


Insofern gibt es da überhaupt kein Problem. Die Jungs wissen alle, wer ich bin und was ich gemacht habe. Insofern gibt es da – und das ist immer ein Vorteil, natürlich nicht nur bei Profis – einen Vertrauensvorschuss. Und den Glauben daran, dass man jemanden an seiner Seite hat, der einem wirklich helfen kann: auf seinem Weg zum Profitum, aber der auch der Mannschaft helfen kann, erfolgreich zu sein und guten Basketball zu spielen. 



Dann schauen wir mal aufs NBBL/JBBL TOP4: Was erwarten Sie von dem Wochenende? 


Zunächst mal finde ich toll, dass es wieder in Frankfurt ist. Ich glaube, es ist notwendig, dass wir ein ganz professionelles Umfeld haben, das den Wert dieses Turniers auch adäquat abbildet. Das ist in Frankfurt zu 100 Prozent der Fall. Das Zweite, was ich erwarte, ist, dass die Jungs mit großer Energie, großer Leidenschaft und Emotion spielen. Dass sie auch eine Qualität zeigen, sowohl individuell als auch kollektiv, und dass sie mit großem Respekt sowohl dem Gegner als auch den Schiedsrichtern gegenüber auftreten. Also auch eine Einstellung zeigen, so wie wir sie von einer deutschen Nationalmannschaft erwarten würden. 


Ich fände es super, wenn das Turnier in einer Atmosphäre stattfindet, in der sich alle unterstützen und in der es keine Animositäten und keine Nickligkeiten gibt. Wir wollen fairen Sport auf ganz hohem Niveau sehen. Wir wollen sehen, dass alle, egal ob Fans oder Spieler und Verantwortliche, extrem respektvoll miteinander umgehen und dass es eine tolle Erfahrung für die Jungs wird, weil ich glaube, das steht am Ende im Vordergrund. Und wenn das so wird, dann wird es sicher ein großartiges Event, da sind tolle Spieler und tolle Mannschaften dabei. Ich freue mich jedenfalls schon jetzt sehr darauf. 


Für manche Spieler wird es an dem Wochenende der erste richtige Schritt in die öffentliche Aufmerksamkeit sein. Da wird man vielleicht einen Titel gewinnen oder eine MVP- Trophäe. Gibt es einen Ratschlag für diese Spieler? 


Das ist ein ganz wichtiger Aspekt: Viele von den Jungs haben solche Dinge noch nie erlebt. Plötzlich gibt es eine öffentliche Aufmerksamkeit, vielleicht gibt es auch öffentliche Kritik. 


Gerade was junge Menschen an Schmähungen im Internet über sich ergehen lassen müssen, gehört heutzutage leider auch dazu, wenn man in der Öffentlichkeit steht. Damit zurechtzukommen, mit dem Guten wie mit dem Schlechten, ist für einen jungen Menschen extrem schwierig. Und deshalb habe ich schon im Vorfeld mit dem einen oder anderen versucht, über dieses Thema zu reden und zu erklären, wie sie damit umgehen sollen und wie sie es einordnen sollen. 


Was die psychische Komponente von einem so großen Turnier angeht, ist für die Jungs schon problematisch. Da muss man dann auch mit Ausscheiden zurechtkommen, weil nur einer gewinnt und drei, die mit vielleicht großen Hoffnungen dahingefahren sind, verlieren. 


Da brauchen sie Hilfe: Die Unterstützung und die Beratung von Eltern und insbesondere Trainern, damit die Jungs das alles gut einordnen können und das so für alle am Ende eine positive Erfahrung ist. 


Zum Schluss ein Rundumschlag: Wo steht der deutsche Basketball? Welches Potenzial gibt es und was braucht es für Entwicklung? 


Das Thema könnte ja ein eigenes Interview sein (lacht). Also, ich würde sagen, dass wir zum einen in der A-Nationalmannschaft eine unfassbar talentierte und gute Generation haben, die in den nächsten fünf Jahren noch Großes leisten wird und, so ist jedenfalls unsere Hoffnung, auch einen Titel holt. Das ist schon eine wirklich begeisternde Generation, das ist ein absolutes Positivum. 


Die easyCredit BBL ist eine tolle, professionelle Liga, keine Frage. Ein größerer internationaler Erfolg der deutschen Mannschaften in der Europaliga wäre sicher wünschenswert. Aber das ist ein steiniger und schwieriger Weg, das muss man einfach der Ehrlichkeit halber auch sagen. Es ist schon unfassbar schwierig, in die Playoffs zu kommen. 


Und wir müssen über die Jugendarbeit sicherstellen, dass wir es in den nächsten 10 bis 20 Jahren schaffen, uns stabil unter den ersten Acht in Europa zu platzieren. Das kann dann mal so gut laufen wie jetzt mit der A-Nationalmannschaft. Aber wir müssen sicherstellen, dass es nie schlechter als ein Platz im Viertelfinale wird. Das ist unsere Aufgabe. Dazu gehört es einerseits, die jungen Spieler zu entwickeln, ihnen auf ihrem Weg zu helfen. Dazu gehört, Strukturen zu schaffen, die sicherstellen, dass wir uns auf diesem Weg bewegen. Und wir müssen schauen, dass wir mit den Jugend-Nationalmannschaften auch bessere Ergebnisse haben, also sowohl Spieler entwickeln – das ist ein langfristiger Prozess – als auch bei Europameisterschaften stabil unter den ersten acht sind und auch mal eine Medaille gewinnen. Das muss der Anspruch sein und daran arbeiten wir sehr hart. Vielleicht sehen wir ja bei diesem Turnier einige von den Jungs, die dann irgendwann mal mit einer Medaille um den Hals auch nach Deutschland zurückkommen. 


Interview: Dennis Nathem


PM: NBBL gGmbH


Fotos: DBB